CONCOURS GÉNÉRAL DES LYCÉES – SESSION DE 2001
(Classes terminales ES, L et S)
Durée: 5 heures
L’usage de tout dictionnaire est interdit.
Wir sind einsam. Man kann sich darüber täuschen und tun, als wäre es nicht so. Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, daß wir es sind, ja geradezu, davon auszugehen. Da wird es freilich geschehen, daß wir schwindeln; denn alle Punkte, worauf unser Auge zu ruhen pflegte, werden uns fortgenommen, es gibt nichts Nahes mehr, und alles Ferne ist unendlich fern. Wer aus seiner Stube, fast ohne Vorbereitung und Übergang, auf die Höhe eines hohen Gebirges gestellt würde, müßte Ähnliches fühlen: eine Unsicherheit ohnegleichen, ein Preigegebensein an Namenloses würde ihn fast vernichten. Er würde vermeinen zu fallen oder sich hinausgeschleudert glauben in den Raum oder in tausend Stücke auseinandergesprengt: welche ungeheure Lüge müßte sein Gehirn erfinden, um den Zustand seiner Sinne einzuholen und aufzuklären. So verändern sich für den, der einsam wird, alle Entfernungen, alle Maße; von diesen Veränderungen gehen viele plötzlich vor sich, und wie bei jenem Mann auf dem Berggipfel entstehen dann ungewöhnliche Einbildungen und seltsame Empfindungen, die über alles Erträgliche hinauszuwachsen scheinen. Aber es ist notwendig, daß wir auch das erleben. Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man « Erscheinungen » nennt, die ganze sogenannte « Geisterwelt », der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mit denen sie fassen könnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. Aber die Angst vor dem Unaufklärbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen ärmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschränkt, gleichsam aus dem Flußbett unendliche Möglichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht.
RILKE
I. COMMENTAIRE
1. Untersuchen Sie am Anfang des Textes die Metaphern des Raums und die Darstellung des Schwindels in ihrem Zusammenhang mit dem Begriff « Einsamkeit ».
2. Wie ist es möglich, « den Zustand [der] Sinne einzuholen und aufzuklären »? Warum wäre « eine ungeheure Lüge » dazu notwendig? Was für Lügen kann man sich dabei vorstellen?
3. Wie ist das Verhältnis zwischen « Geisterwelt » und « Leben » zu verstehen? Wie stehen Sie dazu?
4. Wie kann der Mensch « seine Angst vor dem Unaufklärbaren » überwinden?
II. VERSION
Traduire de la ligne 3 (« Da wird es freilich geschehen… ») à la ligne 15 (« …das uns begegnen kann. »).